Da stand ich nun. Er hatte mir mitten ins Gesicht geschlagen. Ich hielt meine Augen geschlossen. Sehen konnte ich ihn onehin nicht, denn in Wirklichkeit war er gar nicht da. Doch, offensichtlich war er, doch ohne Ausdehnung, ohne Substanz. Eben nicht körperlich, doch seine Existenz war nicht zu verleugnen. Mein Kopf pochte noch immer.
Da stand ich nun. Er hatte mich wirklich überrascht, sich von hinten angeschlichen und sich tief in meinem Denken festgebissen. Umwickelt jeden Hirnbereich, erobert, was zur Zeit schon vergeben war.
Dreist mein Glücksgefühl gefangen und anschließend aus dem Kopfe verbannt. Er hatte mich abermals überfallen. Mein Hilfeschrei war nicht zu hören. Ich blieb stumm.
Da stand ich nun. Die Straßen voller Menschen. Mein Kopf pochte noch immer. Niemand sah mich. Niemand hatte den gewaltsamen Überfall wahrgenommen. Die Menschen sahen weg, obwohl sie wussten, dass es auf den Straßen gefährlich ist. Meine Stimme hatte versagt. Aller Widerstand hatte versagt, ich war zu schwach, sie zu ignorant. Mein Kopf pochte noch immer, doch ich blieb weiterhin stumm.
Warum?
Als ich nun da stand, hatte man mich überfallen. Doch ich wusste, es war ihnen allen egal, denn auch sie hatten schon öfter das gleiche erlebt. Nur wenigen von ihnen hatte man geholfen. Von denen, die man aufgefangen und beschützt hatte, wussten nur wenige dieses Glück zu schätzen. Von denen, die man in ihrer Schwäche alleine gelassen hatte, hatten nur wenige vom Arzt ein heilendes Rezept gegen die Kopfschmerzen verschrieben bekommen. Doch von mal zu mal pochte auch ihr Kopf. Sie waren nicht nur enttäuscht worden, sie waren auch stumm geblieben. Keine Anzeige, kein Verfahren, kein Urteil.
Der Verbrecher ist noch immer frei.
Und er überfallt uns, Tag für Tag, macht Menschen, ob jung oder alt, hilflos stumm und resigniert. Manchmal scheint mir, als sei die einzige Antriebskraft seiner Existenz, die der anderen Menschen zu zerstören. Doch ich bin gewiss nicht der erste, der das sagt. Das gibt mir das Gefühl, sie wollen das alles einfach nicht hören. Sie wollen nichts davon wissen. Deshalb blieb ich dort stehen. Mein Kopf pochte weiterhin, meine Stimme blieb schwach. Doch ich war wach und beobachtete sie.
Dem nächsten, der überfallen würde, wollte ich zur Seite stehen. Ich würde mit ihm zum Arzt gehen und um Hilfe bitten. Ich würde Anzeige erstatten und mich als Zeuge des gewaltsamen Überfalls melden. Ich würde dem Verbrecher so gerne in die Augen sehen, doch ich wusste, ich könnte ihn niemals sehen, denn er war nicht wirklich. Deshalb blieb ich dort stehen, so lange meine Beine mich trugen. Bis ich eines Tages umfiel und mein zermürbter Kopf auf dem harten Asphalt aufschlug.
-Todesanzeige- Die Gesellschaft trauert um den tragischen Verlust eines weiteren jungen Menschens. Doch niemand hatte was gesehen. Niemand konnte den Tod verstehen.
Keine Anzeige, kein Verfahren, kein Urteil.
Der Verbrecher ist noch immer frei!
Das grösste Übel, das wir unseren Mitmenschen antun können, ist nicht, sie zu hassen, sondern ihnen gegenüber gleichgültig zu sein. Das ist absolute Unmenschlichkeit.
George Bernard Shaw (1856-1950)